Der Winterthurer Christof Seiler ergänzt den Sommer-Kulturkalender seiner Stadt seit über 10 Jahren mit dem Open-Air-Kino «Cinéma Solaire». Letztes Jahr ist das Musik-Open-Air «Fresh!» dazugekommen. Für die Stromversorgung beider Events genügt ein einziger Akku, der mit Solarstrom aufgeladen wird. Wie es dazu kam und was er mit seinen Events bewirken will, erzählt Christof im Interview.
Dass Christof Seiler sich schon seit vielen Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit befasst, verdankt er eigentlich seiner Partnerin Sara. Sie ist ausgebildete Gärtnerin und seit Langem fasziniert von ökologischen Zusammenhängen und einer Lebensweise im Einklang mit der Natur. Christof Seiler selber ist Grafiker. Ich treffe ihn in seinem Atelier in der Nähe des Winterthurer Bahnhofs und spreche mit ihm über seine Projekte, die Nachhaltigkeit und Freude an Kultur miteinander verbinden.
Wie kamst du auf die Idee, Events aufzuziehen, die weitgehend autark sind – also nicht auf grosse Infrastruktur oder Strom von aussen angewiesen sind?
Im Alter von 14 oder 15 Jahren begann ich, Discos und Open-Air-Kinos zu organisieren. Diese Events wurden von Mal zu Mal grösser. Während meines Studiums stellte ich mit meinem Kollegen Reto Schmid ein Superjam-Festival auf die Beine. Wir waren stolz darauf, dass wir einen ganzen Sattelschlepper Material für diesen Event benötigten. Das Motto war damals «Möglichst viel!» und das wäre so weitergegangen, wenn ich nicht Sara kennengelernt hätte.
Dann ist also Sara der alleinige Grund deines Wandels?
Hauptsächlich, aber nicht nur. Ich habe in jener Zeit ein dreimonatiges Praktikum bei einer grossen Schweizer Eventfirma absolviert. Für einen Handyhersteller durfte ich einen Promo-Event für neue Modelle mitgestalten. Dazu stand mir der ganze Materialpark der Firma mit Lasern, Scheinwerfern, Beamern, riesigen Lautsprechern und Projektionsflächen mit Wasservorhängen zur Verfügung. Für eine fünfzehnminütige Show in Zürich habe ich viele Tage und Nächte investiert, Fotos bearbeitet, die Musik selber gemacht, die Show programmiert. Als die Show vorüber war, habe ich für mich festgestellt: «Das war’s für mich. Das ist nicht meine Welt.
Dass du anstelle von aufwändigen und stromverschlingenden Megaevents bei einem solarbetriebenen Open-Air-Kino gelandet bist, ist dann aber doch überraschend. Wie kam es dazu?
Mein Kollege Reto Schmid brachte mich auf die Thematik, als er in der Westschweiz einen Tag zum Thema Sonnenenergie mitorganisieren musste. Gemeinsam fanden wir, dass Solarenergie populärer werden sollte – und zwar in einem Rahmen, der Freude macht. Die Sonnenstrahlen tagsüber einzufangen und in der Nacht zu verwenden, um einen Film zu zeigen: Diese Idee fanden wir bestechend. Reto entwarf eine Leinwand, auf deren Rückseite eine Schneiderin flexible Solarzellen aufnähte. Als dann bei einem Anlass kräftiger Wind blies, zeigte sich, dass dieses Eigenfabrikat nicht so beständig war wie gedacht. Deshalb mussten wir auf ein ausgereiftes Industrieprodukt zurückgreifen. Nach langer Recherche fanden wir eine Solaranlage, die auf eine Kiste und damit in unseren Veloanhänger passte. Anfangs luden wir mit den Solarzellen tagsüber einen 70 Kilogramm schweren Bleiakku, später wechselten wir auf einen leichteren Lithiumakku, der heutzutage nur noch 7 Kilo wiegt.
Was stand denn bei euch im Vordergrund: das Bekanntmachen von Solarenergie oder die Reduktion aufs Nötigste?
Es war beides. Bereits unsere erste Projektskizze beinhaltete die Idee, dass wir mit nur zwei Handwagen anreisen und auf einem beliebigen Platz Freiluftkino für ein paar Hundert Leute machen können. Schon bei der ersten Aufführung unseres «Cinéma Solaire» im Jahr 2008 mussten die Zuschauer ihre Stühle und Sitzgelegenheiten selber mitbringen. Auf ein Leinwandgerüst haben wir verzichtet und stattdessen Seile zum Aufhängen der Leinwand verwendet. Das Konzept ist in dieser Form bis heute geblieben. Wir fänden es inkonsequent, Werbung für Solarenergie zu machen, aber gleichzeitig mit einem Auto oder Bus für das Equipment anzureisen. Unsere ganze Ausrüstung passt heute in zwei Veloanhänger. Mein persönlicher Antrieb bleibt, mit möglichst wenig Material möglichst vielen Menschen eine Freude zu machen.
Wie viel Energie benötigt das «Cinéma Solaire» heute?
Richtig radikal wäre ja, Theater zu spielen, anstatt einen Film zu zeigen: Wir würden zu zweit auf den Platz treten, ohne jegliches Equipment, und eine Aufführung vor Leuten machen. Dazu ist es aber leider nie gekommen. Aber wir können nun mit dem «Cinéma Solaire» zeigen, was mit geringem technischem Aufwand und tiefem Energieverbrauch heute möglich ist: Eine Stunde Kino benötigt nur 200 Watt. Im Vergleich dazu: Ein Tesla braucht 20’000 Wattstunden, also hundertmal mehr! Mit der Energie, die ein Lenker oder eine Lenkerin während einer Stunde Fahrt mit dem Tesla verbraucht, könnten hundert «Cinémas Solaires» betrieben werden und somit Tausenden von Menschen eine Freude bereitet werden. Herumfahren kann man ja auch mit dem Velo!
À propos Velo: Du hast eine Zeit lang auch eine Velodisco betrieben. Warum gibt es diese nicht mehr?
Wir haben die Velodisco während einigen Jahren in Winterthur und auch in anderen Städten durchgeführt. Auch wenn wir einen Saal gemietet hatten, wurde von uns keine einzige Steckdose verwendet. Wir hatten unseren Akku dabei, der mit Solarstrom betrieben wird. Und drei Velos, auf denen die Besucher*innen in die Pedale traten, um den nötigen Strom für die Lautsprecher zu produzieren. Kühlschränke für Getränke gab es keine, dafür selbstkühlende Bierfässchen. Die Rahmenbedingungen, die wir uns gesetzt hatten, waren radikal, vielleicht zu radikal: Essen und Trinken durften nur regional sein, ich holte den Wein mit meinem Veloanhänger bei einem Weinproduzenten ab. Nicht nur das Vorbereiten und Organisieren, sondern auch der Abbau und das Verräumen nach der Disco nahm viel Zeit in Anspruch. Wir kamen morgens erst gegen 5 Uhr ins Bett. Irgendwann wurde es mir und meiner Frau dann zu viel. Und eigentlich bin ich ja ein Morgenmensch.
Seit letztem Jahr – mitten im ersten Coronajahr – gibt es aber bereits wieder ein Nachfolgeprojekt: das Open Air «Fresh!», wo Musiker*innen unplugged spielen.
Das Open Air ist um 10 Uhr abends fertig – also um einiges früher als bei der Velodisco. Und ja, wir haben auch für 2021 wieder ein Open Air geplant. Konzerte mit 200 bis 300 Zuschauer*innen unter freiem Himmel und mit genügend Abstand sollten im Sommer hoffentlich wieder möglich sein.
Wie sehen die Auflagen für die Künstler*innen punkto Nachhaltigkeit aus?
Sie dürfen nur mit dem ÖV oder mit dem Velo anreisen, die Instrumente sind akustisch, es hat lediglich zwei Lautsprecher. Eigentlich ist es ja Strassenmusik mit einem kleinen Verstärker. Wer akustische Lieder im Repertoire hat, sollte mit diesen Auflagen keine Probleme haben. Natürlich haben wir im Vorfeld recherchiert, wer auch schon «unplugged» aufgetreten ist. Alle, die wir am Schluss angefragt haben, sind dann auch am Open Air aufgetreten. Ich bin optimistisch, dass es uns dieses Jahr auch wieder gelingt!