Ein paar junge Zürcher*innen hatten eine bestechende, aber auch gewagte Idee: gemeinsam mit anderen Bio-Gemüse anbauen – und das in der Stadt. Vor einem Jahr ist diese Idee Realität geworden. Wie ist die Bilanz? Und was braucht es, um ein solches Projekt zu verwirklichen?

Es ist Winter in der Stadt. Schnee liegt auf den Wiesen. In einem Gewächshaus beim Balgrist treffe ich Rahel und Ian. Beide sind Mitglieder der Betriebsgruppe von Pura Verdura. Rahel ist zusätzlich als Gärtnerin bei der Gemüsekooperative angestellt. Sie macht zusammen mit einem Mitglied gerade 130 Weisskohlköpfe für Haushalte im umliegenden Quartier parat. Frisches Bio-Gemüse aus der Stadt? Geht das auch im Winter? Rahel klärt mich auf: «Wir haben den Anbau durch das Jahr so geplant, dass wir für das Winterhalbjahr auch auf Lagergemüse zurückgreifen können. Gemüse wie Sellerie, Rüebli, Weiss- und Rotkohl, Wirz, Randen, Lauch, Zuckerhut und Chicorino haben wir bis in den November geerntet und in einen Kühlraum in der Stadt gebracht. Dort holen wir jetzt alle zwei Wochen Gemüse für unsere Mitglieder ab. Zusätzlich haben wir noch ein wenig Salat wie zum Beispiel Endivie, den wir in einem unserer beiden gedeckten Gemüsetunnels frisch ernten können.»

Rahel und Ian von Pura Verdura
Foto: Christian Engel
Rahel und Ian von Pura Verdura   (Foto: Christian Engel)

Die Genossenschaft Pura Verdura produziert Gemüse für rund 130 Haushalte in der Stadt. Den Acker beim Balgrist hat sie von der Stadt Zürich gepachtet, die beiden Gemüsetunnels stehen auf dem Grundstück der Psychiatrischen Universitätsklinik beim Burghölzli.

 

Lernen von anderen Genossenschaften

Wie ist diese Idee entstanden? Ian erzählt: «Die Begeisterung für ein solidarisches Landwirtschaftsprojekt fand ich in meiner Zeit als Genossenschafter bei der der Schwester-Kooperative Ortoloco in Dietikon – und sie hat mich bis heute nicht mehr losgelassen.» Als Ian vor fünf Jahren nach Zürich-Witikon zog, hatte er den Wunsch, eine eigene Genossenschaft auch in der Stadt zu betreiben. Zusammen mit seiner Partnerin Isabelle und seinem Studienkollegen Thomas gründete er zuerst den Verein Pura Verdura, der sich auf die Suche nach einem geeigneten Stück Land machte. Später stiessen weitere Mitstreiter*innen dazu und der Verein konnte in eine Genossenschaft umgewandelt werden. Dank den gemachten Erfahrungen aus den anderen Kooperativen und deren Hilfsbereitschaft war der Weg für die nächste solidarische Gemüsekooperative schon etwas vorgespurt.

Tomatenernte im Sommer (Foto: Pura Verdura)

 

Frisches Gemüse als Gegenleistung

Doch was ist überhaupt unter einer Gemüsekooperative zu verstehen? Rahel fasst dies so zusammen: «Das ist eine Gruppe von Menschen, die sich gemeinsam einen Betrieb teilen. Diese Teilnahme geschieht einerseits durch das einmalige Anteilskapital, das Investitionen ermöglicht, und andererseits durch einen jährlichen Betriebsbeitrag, der die Aufrechterhaltung des Betriebs inklusive Anstellung der Gärtnerinnen finanziert. Als Gegenleistung erhalten die Mitglieder wöchentlich eine saisonal abgestimmte Gemüsetasche. Je nach Ertrag und Saison bekommen sie mal mehr und mal weniger Gemüse. Die Mitglieder leisten pro Jahr eine bestimmte Anzahl Arbeitseinsätze und die gesamte Ernte wird durch die Anzahl Mitglieder geteilt.»

 

Mit Hartnäckigkeit und Glück

Dass heute Pura Verdura auf einen erfolgreichen Start zurückblicken kann, ist einerseits einem hochmotivierten Team zu verdanken, das einen gemeinsamen Traum verfolgte. Andererseits war es ein Glücksfall, dass sich die Stadt von Anfang an offen gegenüber dem Anliegen von Pura Verdura zeigte. Wie erklärt sich Rahel diesen Umstand? «Die Stadt hatte sich bereits zuvor das Ziel gesetzt, solche Projekte zu fördern. Wir kamen mit unserem Anliegen zum richtigen Zeitpunkt.» Ian ergänzt, dass erfolgreiche Kooperativen wie Ortoloco in Dietikon, der Verein Stadtrandacker beim Dunkelhölzli und «Meh als Gmües» in Zürich-Nord gezeigt hätten, dass solidarische Landwirtschaft auch in einem städtischen Umfeld funktioniere. «Das hat das nötige Vertrauen in unser Projekt geschaffen. Ausserdem hatten wir mit ein paar Food-Waste-Aktionen im Quartier gezeigt, dass wir auch in der Lage sind, etwas Konkretes auf die Beine zu stellen.» Bis am Ende die Stadt dem damaligen Verein eine Hektare Landwirtschaftsland zur Pacht überliess, brauchte es aber noch viele Gespräche. Im Herbst 2019 wurde schliesslich der Weg frei für die Gründung einer Gemüsekooperative.

 

Die Mitglieder beteiligen sich aktiv bei der Gemüseernte. (Foto: Pura Verdura)

 

Gemeinsam das Risiko tragen

Seit rund einem Jahr produziert die Genossenschaft Gemüse in Bio-Qualität für die Mitglieder, die hauptsächlich in den umliegenden Quartieren der Stadtkreise 7 und 8 wohnen. Die Stadt verlangt, dass sich Pura Verdura – wie die stadteigenen Landwirtschaftsbetriebe auch – bio-zertifizieren lässt. Ob mit oder ohne Zertifikat: Die Betriebsgruppe darf jetzt schon eine positive Bilanz ziehen. Die Gemüsetaschen konnten wie geplant wöchentlich ausgeliefert werden; die beiden von Pura Verdura angestellten Gärtnerinnen bewältigten zusammen mit den Genossenschaftsmitgliedern die anfallende Arbeit gut. Einzig die Ackerkratzdistel, die im Frühsommer einen grossen Teil des Ackers überwucherte, drohte kurzfristig dem Projekt einen Strich durch die Rechnung zu machen. Während mehrerer Wochen fiel die Gemüsetasche deshalb weniger üppig aus. Doch das war ein konkretes Beispiel dafür, wie solidarische Landwirtschaft funktioniert: Die Mitglieder tragen gemeinsam das Risiko.

Kurz und bündig

Warum ist Pura Verdura nachhaltig?

+ praktisch kein Food-Waste, da die ganze Ernte verwertet wird
+ biologische Landwirtschaft mit Fokus auf Bodenfruchtbarkeit und viel Handarbeit
+ sehr kurze Transportwege des Gemüses
+ fast keine Verpackung (Gemüsetaschen werden wiederverwertet)
+ fördert den Sinn für saisonales Gemüse und dessen Anbau
+ Kompostiermöglichkeit bei einigen Gemüsedepots
+ Schaffung von zwei Arbeitsstellen mit fairen Anstellungsbedingungen

Ein funktionierender Betrieb aus dem Nichts

Mit welchen Gefühlen blicken Ian und Rahel auf die vergangenen Monate zurück? Ian fasst es so zusammen: «Am Anfang war eine Idee. Nach und nach haben sich Puzzleteile zusammengefügt: die Zusammenarbeit mit Stadt und Kanton, das gepachtete Land, die Gemüsetunnels, die Kühllager, die Abholdepots für die Mitglieder. Wir haben aus dem Nichts einen funktionierenden Landwirtschaftsbetrieb aufgebaut – und haben im wahrsten Sinn des Wortes geliefert. Es war anstrengend, aber es hat sich gelohnt!» Rahel ergänzt: «Wenn ich auf das vergangene Jahr zurückblicke, bin ich erleichtert und zufrieden. Vor einem Jahr standen wir am Anfang, wussten nicht, ob es wirklich klappen würde. Heute wissen wir: Es funktioniert. Wir mussten zu Beginn die Infrastruktur aufbauen, Kontakte knüpfen und waren auch auf viel Goodwill von externen Personen angewiesen. Inzwischen läuft der Betrieb und wir konnten uns im Quartier gut vernetzen.»

 

Anlässe wie das Ackerfest bringen die Mitglieder zusammen. (Foto: Pura Verdura)

Tipps für die eigene Gemüsekooperative

Und welche Tipps geben die beiden jemandem, der selber eine solche Gemüsekooperative aufbauen will? Für Rahel ist klar: «Als Erstes unbedingt mit Personen sprechen, die ein solches Projekt bereits aufgezogen haben. Als Zweites sollte man das zu bewirtschaftende Land vorher gut anschauen, bevor man es annimmt: Wie ist die Qualität des Bodens, die Lage? Und schliesslich muss man abklären, ob es genügend Leute in der Umgebung gibt, die daran interessiert sind, ein solches Projekt als Betriebsgruppenmitglied oder als zahlendes Mitglied zu unterstützen. Ein tragfähiges und konstantes Team mit viel Durchhaltevermögen ist enorm wichtig, damit es gelingt!»

«Es braucht vor allem einen langen Schnauf», resümiert Ian. «Bei einem solchen Projekt muss man seinen Erwartungshorizont auf eine längere Zeitspanne einstellen. Man braucht Geduld mit sich selber und mit den externen Ansprechpersonen und darf nicht schnelle Erfolge erwarten. Wenn sich dann erste Erfolgserlebnisse einstellen, hilft das dabei, das Ziel weiterzuverfolgen. Die Dankbarkeit und Freude über jede erreichte Zwischenetappe motiviert ungemein. Wenn man den Willen und eine klare Vision hat, kann man fast alles schaffen!»